Gaël Faye: Kleines Land

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Gaël Fayes Roman „Kleines Land“ spielt in Burundi und beschreibt eine Kindheit im Umfeld von Völkermord und Trauma. Gabriels Mutter stammt aus Ruanda, floh vor dem Bürgerkrieg nach Burundi und heiratete dort einen Franzosen. Die frühe Kindheit Gabriels enthält viele schöne Erinnerungen, die er aber im Rückblick tituliert mit „Das war unser letzter Familienausflug“, „Das war der letzte Moment der Unschuld“ und so weiter. Allmählich entgleiten dem Jungen Sicherheit, Mutter und Schuldlosigkeit. Drei Mal wird er schuldig, jedes Mal, weil er glaubt, etwas oder jemanden beschützen zu müssen. Seine Tat erscheint ihm richtig, während er sie tut, doch hinterher folgt die Reue. Am Ende ist es gut, dass er aus Frankreich zurück kehrt nach Burundi, um dort nicht nur eine Kiste Bücher, einen alten Freund, sein eigenes früheres Ich, sondern auch die Chance für eine Wiedergutmachung zu finden.

Sprachlich ist dieses Buch wunderbar. Es erinnert mich an „Das Licht der letzten Tage“, dem es auch gelang, das unsagbare Grauen mit poetischen Formulierungen bildhaft zu machen. Das erste Zitat, das ich mir notierte, betraf den Trennungsgrund seiner Eltern: „Sie hatten nur ihre Illusionen geteilt, aber nicht ihre Träume.“ Gleichzeitig wird klar, dass die Mutter unter der Zerrissenheit leidet, einerseits dem Rassismus der Weißen und andererseits der Beleidigungen durch die Schwarzen als „Weißenhure“. Sie kann ihre Familie verlassen und damit wieder „schwarz“ werden, doch Gabriel, „der Franzose“, kann diesem Zwiespalt nicht entkommen. Gleichzeitig lebt er als EU-Bürger viel behüteter als seine Mutter, die nach Ruanda zurückkehrt, um ihre Familie zu suchen und eigenhändig zu begraben. Als sie zurückkehrt, ist Gabriel „entsetzt von der Leere am Grund ihrer Augen“.

Er erlebt die „Sinfonie des Krieges“ zunächst nur akustisch aus der Ferne. „Meine Freunde, die Bücher, übermalten meine Tage mit Licht.“ Wie von seinem Vater angeordnet, hält Gabriel sich aus der Politik heraus, was ihn mit seinen Freunden entzweit. Doch irgendwann dringt der Krieg auch in seine Straße ein, wo nachts Menschen ermordet werden. Er kann sich nicht mehr heraushalten und tut etwas Schreckliches.

Wäre ich Deutschlehrerin, würde ich dieses Buch mit meinen Schülern durchnehmen, denn es hat alle Eigenschaften einer guten Schullektüre. Es ist ein sorgfältig gearbeitetes Kunstwerk, handwerklich brillant und archetypisch. Und es bietet zahlreiche Themen zur Diskussion, die hier einerseits subjektiv-emotional, andererseits auch abgeklärt behandelt werden: Vorurteile, Eskalation der Gewalt, die Rolle von Büchern im Leben und das Thema Schuld sowie deren Aufarbeitung. Ergänzen könnte man dieses Buch noch mit einem Fachtext über Zahlen, Fakten und Gerichtsprozesse rund um den Völkermord, um das Ausmaß des Massakers klar zu machen, das hier im Roman auf eine einzige Straße fokussiert betrachtet wird. Wegen seiner hohen Qualität und weil es alle meine Kriterien erfüllt, habe ich dieses Buch mit auf meine „Liste der 100 besten Bücher“ aufgenommen.

 

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