Film: Das Parlament (Staffel 3 und 4)
Erfreut stellte ich fest, dass in der ARD-Mediathek Staffel 3 und 4 von „Das Parlament“ verfügbar sind. Vor einem Jahr amüsierte ich mich schon prima über Staffel 1 und 2.
Nun lernen wir mehr über die Zusammenarbeit zwischen EU-Parlament und EU-Kommission. Politik versus Diplomatie. Wer f... fordert wen?? Wer souffliert wem? Unter anderem wird der in den vorigen Staffeln so mühsam entwickelte Blue Deal wieder in Frage gestellt bzw. der Karriere oder den persönlichen Feindschaften geopfert. Samys frühere Chefin wechselt in die Kommission und plant, sich dort von unten nach oben hochzuarbeiten. Demokratie und Theater (Tragödie und Komödie) haben denselben Ursprung. Darum ist es kein Wunder, wenn Thorsten die EU als Musical vertont.
Der neue (deutsche) Parlaments-Präsident: „Ich mag Humor. Kannte ich gar nicht, bevor ich nach Brüssel gekommen bin.“ Schlafen mit offenen Augen gehört zu den Kompetenzen bei der EU. Auch andere unerhörte Dinge passieren: Eine Französin entschuldigt sich und bittet um Vergebung, muss das aber vorher proben. Michael, der bisherige französische EU-Präsident, geht bei der karibischen Küche aufs Äußerste. Rose arbeitet jetzt als Journalistin. Samy arbeitet doch nicht für die EU-Kommission, sondern wieder fürs Parlament. Oder
doch? Thorsten ist zurück als Abgeordneter und führt die internetbasierte Basisdemokratie ein – im leuchtendblauen Heldenkostüm. Wie schon bei den vorherigen Staffeln schwanke ich bei Thorsten immer zwischen „Er ist total verrückt“ und „Thorsten ist ein Genie“. Für die fiesen Intrigen ist jetzt eine neue deutsche Kollegin zuständig. Gesine, die deutsche Abgeordnete mit Ähnlichkeit zu Angela Merkel, fühlt gegenüber KMU und hart arbeitenden Fischern Beschützerinstinkte und kann großzügig einer Gegnerin Respekt zollen, die sie über den Tisch bzw. die Datumslinie gezogen hat.
Samy tut sein Bestes, um Karriere zu machen. Vom Parlament zur Kommission bedeutet für ihn einen Aufstieg. Allerdings löst er einen Fish-and-Chips-Krieg mit Großbritannien aus, versagt bei der Gründung einer neuen Behörde mit Arbeitstitel Umwelt-FBI unter Vorsitz seiner Chefin an einem sonnigen Küstenort und wird darum in die Sündenbockabteilung versetzt. Er muss schlechte Nachrichten überbringen. Dabei wird er angebrüllt und mit Glyphosat vergiftet. Während er nach etwas Neuem sucht, verbreitet seine Chefin das Gerücht, er würde im Büro kleine Tiere quälen. Nur aus Verzweiflung und weil der italienische Kaffee so gut ist und das Büro so groß... nimmt er beinahe einen Posten bei einer rechtsextremen italienischen Abgeordneten an.
Bei diesem Film trägt jedes Detail eine Bedeutung. Man beachte nur die vielsagenden Plakate an den Wänden. Auch die Herr-der-Ringe-Analogie hat mir gut gefallen.
Am Ende geht es darum, Europa zu retten. Die Kommission hat sich total verfranst über die Ausbalancierung aller Interessen bezüglich Nutriscore von Olivenöl, Markenschutz für Halumi-Käse, Mehrwertsteuersenkung für schwedische Selbstbaumöbel, herkunftsgeschützte Karottenmarmelade und provokante Forderungen wie die Rückgabe der Mona Lisa an Italien. Samy kann hier nicht nur lernen, wie man zu einem Konsens kommt, sondern auch, wie die Profis mit Niederlagen umgehen: dem Sieger Respekt zollen, seine Tricks analysieren und beim nächsten Kampf selbst einsetzen.
Sehr schön auch die letzte Folge. Der Oberblicker Emon hat sich monatelang in ein italienisches Kloster zurückgezogen, um ein Buch darüber zu schreiben, wieso die EU trotz der vielen Krisen funktioniert. Er schreibt gerade seinen Schlusssatz darüber, dass er gescheitert sei. Da platzt Samy mit seinem Witz über den Tausendfüßler herein: Sagt die Ameise zum Tausendfüßler: „Hey, wie kannst du mit so vielen Füßen überhaupt laufen?“ Und danach konnte der Tausendfüßler es nicht mehr. Genauso sollte man vermutlich auch die EU nicht zu sehr sezieren. Praxis ist, wenn es funktioniert, aber keiner weiß wieso.
Ich liebe diesen gutmütigen Spott auf unsere europäische Demokratie. Man wundert sich zwar, dass in Brüssel überhaupt irgendetwas voran geht, aber es wird auch klar, dass einige wenige kompetente Personen genügen, um die EU konstruktiv zu managen. Die Entscheidungen entstehen in einem nicht so ganz objektiven Prozess und erscheinen dadurch irgendwie willkürlich, aber auch vorläufig. Die Abgeordneten wechseln, aber die Weisheit steckt im System. „Fehlertolerante Prozesse“ und „Kontinuität durch verlässliche Wissensträger“ lautet wohl das Rezept.